Thomanerchor, Popstar, Protest: Autobiografie von Sebastian Krumbiegel

Stand: 04.05.2024 06:00 Uhr

Einst war Sebastian Krumbiegel ein großer Popstar und sorgte mit den Prinzen für ausverkaufte Konzerthallen; heute gehört er zu den lautesten politischen Stimmen Ostdeutschlands. Nun hat er seine Autobiografie "Meine Stimme: Zwischen Haltung und Unterhaltung" veröffentlicht.

von Marcus Fitsch

"Der schönste Junge aus unserer schönen DDR" - selbsternannt, selbstironisch und Ende der 1980er-Jahre ein politisches Statement. Sein Humor war für Sebastian Krumbiegel stets ein guter Verbündeter. Daran hat sich auch mit 57 Jahren nichts geändert. Nun hat er ein Buch über sein Leben veröffentlicht und uns an einen seiner Lieblingsorte eingeladen, um darüber zu sprechen: den Leipziger Club "Ilses Erika." "Das ist ein sehr cooler Club. Auf dieser kleinen Minibühne haben schon viele Leute gespielt", sagt Sebastian Krumbiegel. "Ich habe hier vor 15-20 Jahren auch mal gespielt. Es ist jetzt alles viel moderner und schöner, aber das Wichtigste ist hier drüben: die Bar."

Sebastian Krumbiegel: Vom Thomanerchorknaben zum Popsänger

Alles beginnt 1966. Krumbiegel wächst wohlbehütet im Leipziger Norden auf. Die Familie ist hochmusikalisch und so ist es nur folgerichtig, dass der kleine Sebastian seinem größeren Bruder in den ehrwürdigen Thomanerchor folgt. Dort entdeckt er nicht nur seine Entertainer-Qualitäten und dichtet in Proben gern die Gesangstexte um. Im straff geführten Internats- und Chorleben stößt er damit auch schnell an die Grenzen der Obrigkeit. "Für Individualität ist da nie viel Platz. Das ging bei der Kleidung los, dass du immer diese Matrosenanzüge an hattest. Das war eine anonyme Masse. Etwas, was mich tierisch genervt hat, ist: Wenn man draußen irgendwas gemacht hat, was gegen die Regeln war, wurde immer gesagt, dass das nicht Sebastian Krumbiegel ist, der das gemacht hat, sondern dann ist das der Thomaner."

Krumbiegel fliegt aus dem Chor. Da er eh lieber Popstar werden will, tingelt er mit seiner A capella-Truppe durch die DDR. Der subversive Witz der Herzbuben hat Erfolg und Krumbiegel entdeckt damals, dass sich Haltung in der eigenen Kunst nicht über Parolen vermitteln muss. Anekdotenreich erzählt er im Buch von diesen ersten Gehversuchen. Als großer Rebell inszeniert er sich dabei aber nicht.

"Ich hatte überhaupt keinen Bock, irgendwelche Heldengeschichten aufzuschreiben", erklärt Krumbiegel. "Ich habe zum Beispiel sehr offen über die Zeiten der Montagsdemos geschrieben. Ich glaube, meine erste Montagsdemo war spät, Mitte September. Wir haben uns immer ein kleines bisschen weiter nach vorne gewagt. Dann war ich am 2. Oktober da, habe gesehen, wie die Polizei vor der Thomaskirche die Leute zusammengeknüppelt hat und habe echt Angst gekriegt. Das war der Grund, warum ich an dem eigentlich wichtigen Tag, am 9. Oktober, schlichtweg zu feige war, zu der Demo zu gehen."

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Popstarruhm und politisches Engagement

Die Ereignisse des 2. Oktober sind für den damals 23-Jährigen auch deshalb traumatisch, weil er sieht, wie Demonstrierende Zuflucht in der Thomaskirche finden wollen, die Kirchentür aber verschlossen bleibt. Ausgerechnet dort, wo ihm als Kind unzählige Male gepredigt wurde: Liebe deinen Nächsten. "Für mich war das damals der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte, dass ich ein halbes Jahr später aus der Kirche ausgetreten bin. Ich habe gedacht: Das kann doch nicht sein! Die Leute hämmern an die Tür und werden nicht reingelassen. Man müsste sie eigentlich retten. Das war schon schräg", findet der Musiker.

Heute hat er mit der Kirche seinen Frieden gemacht. Damals blieb keine Zeit dafür, denn nach der Wende wird sein Traum endlich wahr: Krumbiegel wird Popstar, räumt mit den Prinzen so ziemlich alles ab, was geht. Er nutzt seine Öffentlichkeit, um sich immer mehr politisch zu engagieren. Auf eine Aktion am Leipziger Völkerschlachtdenkmal ist er besonders stolz: Als Neonazis Ende der 1990er-Jahre dort eine Kundgebung planen, stampft Krumbiegel gemeinsam mit anderen kurzerhand ein Festival aus dem Boden. "Leipzig zeigt Courage" verhindert die Demo tatsächlich. "Ich habe keinen Bock, irgendwann dazustehen und zu sagen: Ich habe nichts dagegen gemacht. So wie wir heute mit unseren Großeltern reden: Was habt ihr damals gemacht und die zucken mit den Schultern - das will ich nicht", erklärt er damals.

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Egal, wie groß der Gegenwind auch ist: Eine Stimme bleibt standhaft

Mittlerweile ist Krumbiegels Engagement mindestens so unermüdlich wie berüchtigt. Für den Song "Die Demokratie ist weiblich" holt er sich prominente Unterstützung im Kampf für die gute Sache. Nicht jeder fühlt sich da abgeholt. Zu aktivistisch, zu oberlehrerhaft, zu nervig findet das mancher. Krumbiegel kennt das schon: "Manchmal fühle ich mich dabei ertappt, weil da was Wahres dran ist. Ich neige wirklich dazu, zu belehren. Ich arbeite da dran, aber 'Die Demokratie ist weiblich' ist nach wie vor eines meiner wichtigsten Lieder. Wir sollten froh sein, dass wir sie haben. Grade wir als Ossis sollten wissen, was das für ein Schatz ist, weil wir das nicht immer hatten, und dass ein totalitärer Staat oder eine rechtsextreme Regierung nichts Gutes ist."

Auch im Buch sinniert Krumbiegel über die Welt und ihre Verhältnisse. Das ist vielleicht weniger unterhaltsam als seine Anekdoten, aber irgendwie auch beruhigend, zu wissen, dass egal, wie groß der Gegenwind auch ist, eine Stimme standhaft bleibt.

Meine Stimme

von Sebastian Krumbiegel
Seitenzahl:
200 Seiten
Genre:
Sachbuch
Verlag:
Ventil Verlag
Veröffentlichungsdatum:
22. März 2024
Bestellnummer:
978-3-95575-221-7
Preis:
20 Euro €

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | NDR Kultur - Das Journal | 06.05.2024 | 22:45 Uhr

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Sachbücher

Rock und Pop